Orange-rot und schwarz: Das ist der typische Farbkontrast der griechischen Vasenmalerei. Doch die genutzten Tonvorkommen und die besondere Technik des Drei-Phasen-Brandes ließen auch Deckweiß und Weinrot als Farbwerte zu und ermöglichten gewisse tonale Abstufungen. In der Experimentierphase nach ca. 520 v. Chr. suchten führende potter-painters nach neuen Farbwerten und -konzepten (Coral Red, White ground) und später bereicherten nicht-keramische Pigmente das Spektrum der Möglichkeiten deutlich.
Die Ausstellung "Farben sehen!" erforscht, wie die griechischen Vasenmaler zu unterschiedlichen Zeiten mit dieser 'kleinen Palette' ihre Gefäße und Bilder gestalteten. Dabei ist es nicht nur die geringe Anzahl der Farbwerte, die den Begriff der 'Oligochromie' gegenüber der sonst üblichen 'Polychromie' empfiehlt – es ist auch der Umstand, dass die potter-painters ihre chromatischen Mittel keineswegs bei allen Erzeugnissen oder in allen Epochen gleichmäßig einsetzten. Dieser bekannte Umstand erstaunt vor der gängigen Annahme, dass die verwendeten Farben als Kolorit aufzufassen seien und also vornehmlich der Abbildfunktion der figürlichen Friese sowie ihres Schmucks dienen. Denn warum hätten die griechischen Vasenmaler dann fallweise und in bestimmten Epochen auf dieses probable Mittel ihrer mimesis (Nachahmung der Natur) verzichten sollen?
Die Ausstellung argumentiert, dass die Zusatzfarben für die griechischen Vasenmaler ein ambivalentes Werkzeug ihrer keramike techne darstellten. Zwar ermöglichten sie durchaus eine vielschichtigere Darstellung, aber sie brachten auch Momente des Ungleichgewichts und das Problem der Unvollständigkeit mit sich. Zwar lassen sich mit den wenigen keramischen Farbwerten einzelne Aspekte mimetisch differenzieren, aber die Darstellung muss in dieser Hinsicht immer unvollständig bleiben. Griechische Glanztonkeramik ist in vielerlei Hinsicht mehr Grafik als Malerei (K. Mann). Dies und weitere relationale Phänomene, insbesondere das situative Interagieren des hellen Deckweiß‘ mit dem glänzend weißem Schwarz des Glanzton-'Firnis', thematisiert diese Sektion der Ausstellung. Hierbei wird das Hybride der Vasenästhetik deutlich, in der sich die Farbe einerseits dem Kontrast von Figur und Grund unterordnet, andererseits aber partiell darstellend ist und einen eigenen Gestaltungswert entfaltet, der sich gut zur formalen Betonung einsetzen ließ, dann aber auch absichtlich umgangen wurde.
Aktuelle Forschung
Griechische Vasenbilder
Meine bisherigen Forschungen kreisen thematisch um die antike Serienfertigung von Reliefbildern sowie römischen Architekturschmuck und die Rezeption der Antike im 19. Jahrhundert. Diese Themengebiete habe ich von unterschiedlichen Perspektiven der Geistes- und Kulturwissenschaften beleuchtet, insbesondere mit Ansätzen aus der Bildwissenschaft und den 'object studies'. Mein aktuelles Forschungsprojekt (Habilitation) beschäftigt sich mit dem Thema der Farbigkeit und Materialität der antiken Glanztonkeramik. Entgegen den traditionellen Ansätzen, die die Farbigkeit der so genannten Griechischen Vasen zumeist vom Standpunkt der Koloritgeschichte aus thematisieren, fasst meine Habilitation die Farbigkeit der Glanztonkeramik als ein vielschichtiges relationales Phänomen auf. Untersucht wird insbesondere, wie und mit welchen Konsequenzen die griechischen 'potter-painters' des 7.–4. Jh. v. Chr. die verschiedenen Valenzen ihrer keramischen Zusatzfarben für die Gestaltung von Gefäßen und Bilder einsetzten. Komplementär zu der wichtigen mimetischen Perspektive (die bislang überwiegend thematisiert wird) gilt es das formal-ästhetische Feld des emphatischen Farbeinsatzes in seiner Entwicklung zu beschreiben, kulturgeschichtlich einzuordnen und im jeweiligen (Bild-)Kontext exemplarisch zu interpretieren. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Lichteffekten des schwarzen Glanztons, die diesem dunkelsten Wert der keramischen 'Palette' paradoxerweise (und je nach Situation) die größte Helligkeit(sreflexion) zuweisen. In der Griechischen Vasenmalerei ist also Schwarz keineswegs nur schwarz – ein phänomenologischer Umstand, der für die antiken Akteure selbstverständlich zum Alltag gehörte und ihre Dekor-Konzepte im Laufe der Geschichte maßgeblich beeinflusste.
Dr. Arne Reinhardt
"In late Archaic Black Glaze Pottery, it is paradoxically the darkest hue which can shine most brightly, bright enough to bring it close to the appearance of added-white. Considering the huge role the black glaze must have played for the actors involved in the ancient ‘vase industry’ it seems unlikely that this paradox should have slipped the attention of the ambitious potter-painters. On the contrary, as I would like to propose as a new argument here, the boisterous gloss effect must have been an important thread in the bundle of reasons that made the Greek potter-painters reinvent the technical feasibilities of their technÄ“ in the experimental phase around and after the 520ies BCE."
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A. Reinhardt, Colors and the Gloss Effect in Black Glaze Pottery: A Phenomenological Approach, in: D. Bennett – C. Laferrière – G. Hedreen – S. Kim (Hrsg.), Phenomenology and the Greek Vase (University of Wisconsin press: Manuskript eingereicht 10/2023)